Wenn Frauen pflegen
"Schreibst Du uns einen Text?", war die Frage von Karin, stellvertretend für das Frauenkomitees vom Brunecker Waldfriedhof.
Ich hab geschrieben, Lioba Koenen, hat den Text anlässlich der 100 Jahr Feier im Waldfriedhof vorgetragen. Eine stimmungsvolle Kulisse, bei herrlichstem Herbstwetter.
Wenn Frauen pflegen, pflegen sie mehr.
Es geht um die Blumen und dahinter um die Gräber, und dann um die Toten. Die Menschen, die nicht mehr unter uns weilen. Und dennoch Teil sind, weil sie Geschichte mitgeschrieben haben.
Wenn Frauen pflegen, pflegen sie mehr.
Jedem Toten sein Grab. Sein Gedenkgrab oder seine tatsächlich letzte Ruhestätte. Das ist unwichtig. Jedem wird gedacht, weil er ein Teil war, ist und sein wird.
Von einer Familie, von einer Gemeinschaft. Von einem Land. Einem Leben.
Wenn Frauen pflegen, lachen sie. Und freuen sich.
Dass sie etwas weiter tragen können. Und es wächst, gedeiht, Früchte trägt. Sie stehen zusammen - in Stille manchmal, im Tun oft. Weil sie wissen wie es geht, das Tun. Das sich Finden, sich Erinnern, sich Bemühen, sich Austauschen – jäten, gießen, zupfen, kehren, einsetzen. Umsetzen. Ein Kreislauf.
Und dann gibt es die Tränen, weil sie auch dazu gehören. Wie das Lachen. Weil das Leben immer beides ist. Freude und Schmerz. Und weil beides wichtig ist, wenn wir leben.
Im Pflegen liegt Hingabe, nein, es ist keine Unterwürfigkeit, es ist ein Hineingeben: Ein Geben, das seit 100 Jahren weitergetragen wird von den Frauen hier in Bruneck, ihren Mithelfern, der Gemeinschaft, der Gemeinde, dem Land. Weil geschätzt wird, was Frauen tun.
Mit der Pflege dieser über 900 Gräber machen sich Frauen in Bruneck sichtbar. Ihre Fürsorge, ihre Bereitschaft, ihre Verantwortung. Sie pflegen im Stillen, sie pflegen, weil es wichtig ist, weil sie es wollen. Man könnte sagen: Es ist ihnen ein Anliegen, die Erinnerung wach zu halten. Den Frieden, das Zusammen sein zu unterstreichen.
Hier im Lärchenwald oberhalb der Rienzstadt passiert Vernetzung. Und es zählt nicht, woher jemand kommt, wer er ist und wo er hin wollte. „Mutter Erde umfasst sie alle mit gleicher Liebe“, schrieb 1916 der Bezirksvorsteher Herr Dr. B. im Pustertaler Boten.
Da liegen die Toten und hier laufen Kinder, schauen Menschen, spazieren, unterhalten sich, schweigen, denken. Lesen Grabinschriften, sehen den jüdischen Stern, den islamischen Halbmond. Machen Fotos, bewundern und staunen. Das Leben findet hier statt, neben dem Tod. Weil das Leben immer beides ist. Freude und Schmerz. Und weil beides wichtig ist, wenn wir leben.
Wenn Frauen pflegen, spüren sie.
Die, die hier gehen, spüren auch. Sie spüren diesen besonderen Ort, der Ruhe und Einkehr möglich macht. Seit jeher.
Sie spüren die Einfachheit, sie spüren grün und rot. Sie spüren Luft und Wärme und den Schnee und Regen. Sie sehen das Schloss im Hintergrund, manchmal im Nebel verborgen. Sie riechen den Wald, den nassen Boden, hören Vögel, Eichhörnchen, die durch die Wipfel sausen. Sie sehen den blauen Himmel, der grau werden kann und begreifen: Dieser Ort wird geliebt und gepflegt.
Wenn Frauen pflegen, pflegen sie mehr.
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