

baumwächter
Am Anfang meines Weges, im früheren Garten meiner Eltern in Bruneck, stand der Nussbaum. Er hat mir die Geschichte von Anne und Rita geschenkt.
"Anne war all das, was Rita nicht war. Anne war schmal und klein und allein. Fast übersehbar, irgendwie durchsichtig. So...vergessbar.
So - also ob man über sie stolpern müsste, um sie zu erkennen. Sie wirklich zu sehen.
Rita war unübersehbar. Sie lachte laut. Alles an ihr lachte. Ihre tausend Locken, die wild ihr Luftballongesicht umrahmten. Ihre dicken, kräftigen Finger, die Löcher bohren konnten in sperrige Bretter, die zerplatze Fahrradreifen im Nu reparierten und wackelnde Milchzähne mit einem Ruck zogen.
Ihre funkelnd, braunen Augen lachten. Rita sprang, sie lief, sie kletterte. Rita war Bewegung.
Als die beiden sich sahen, zum ersten Mal, war das eine Luftbegegnung. Rita hüpfte von ihrem geliebten Nussbaum und fast, ja fast, wäre sie auf Anne gesprungen, die sich still an den dicken Stamm gelehnt hatte. Nussbaum einatmen, Nussbaum ausatmen. Summende Bienen im roten Tulpenmeer.
Ritas Sandalen waren das Erste, was Anne spürte. Ein plötzlicher Schmerz an der linken Schulter riss die kleine Schmale aus ihrer Nussbaumwelt. Ritas Sandalenschnalle hatte sich in Annes Trägerkleid verheddert. Tiefgrüngrau, braun und funkelnd landete Rita am Boden.
Wer bist Du, fragte Anne?"
Hier liest Du die Fortsetzung.
"Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, (...) in die Antworten hinein."
Rainer Maria Rilke
vielzahl
Menschen sind für mich Vielzahl, bunt. Sie sind mir Inspiration, ich bewundere ihr so verschiedenartiges Sein. Ihre Geschichten, die irgendwo anfangen. Und mich irgendwo hin mitnehmen. So wie die Begegnung mit Bera und Kumar. Am Bahnhof in Bozen:
"Anschauen und lächeln. Anschauen und streicheln. Lamis weiße Zähnen, ihre langen, schwarzen Haaren in denen sich Kumars kleine Hände verfangen. Verschlafen ist sein Duft in der Bozner Hitze am Bahnhof. 39 Grad zeigt das Thermometer. Müde, abgeschlaffte, von der Hitze erdrückte Europäer stieren konzentriert vor sich hin. So a Hitze, des hebsch et."
Lami kümmert sich nicht um die Hitze. Sie redet mit Augen, Fingern, Nase, Mund. Mit ihrem Mann redet sie. Endlich mit ihrem Mann. So viel zu erzählen, “weißt du schon“, „also wirklich..“, „das glaubst du nicht....“ Gerade hat er ihr den kleinen Kumar gereicht. Alles so leicht, so schwebend, so liebend. Bera hüpft um sie herum, reicht ihrem Bruder Kumar die Wasserflasche. Bera und Kumar, Kumar und Bera. Bera und Kumar. Endlich vereint."

mut
Bera und Kumar erinnern mich an unsere vier Kinder. Und an die manchmal verständnisvollen, bewundernden, kopfschüttelnden Blicke als ich mit vier kleinen Kindern, der Kleinste ein Jahr, gefolgt von seinen Schwestern 3, 7 und zehn Jahre alt, durch Bruneck gezogen bin. Einkaufen, Brezel kaufen, Streit schlichten, Tränen abwischen. Lachen. Das Leben ist oft ein "alles gleichzeitig", ein Durcheinander, Übereinander. Mut kann da ganz schön nützlich sein. Und die Fähigkeit, Ansprüche an sich selbst herunter zu schrauben.
"Menschen sind für mich Vielzahl, bunt.
Sie sind mir Inspiration, ich bewundere ihr so verschiedenartiges Sein."
